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Unter dem Pseudonym La Mara veröffentlichte die aus Leipzig stammende Marie Lipsius im Herbst 1867 ihre ersten Artikel: biographische Skizzen über Robert Schumann, Frédéric Chopin und Franz Liszt. Ihre zahlreich folgenden Texte wurden zu populären Medien der Musikvermittlung, doch unter Fachkollegen provozierten sie die Frage, ob Biographien, noch dazu geschrieben von einer Frau, anerkannter Teil der Musikforschung sein könnten. Um Musikwissenschaft als universitäre Disziplin zu etablieren, waren Grenzziehungen nötig, die bis weit ins 20. Jahrhundert Bestand haben sollten: zwischen Werk und Leben, Komponist und Interpretin, Philologie und Kritik, Wissenschaft und Literatur. Das Buch würdigt erstmals Lipsius' Arbeit als Biographin, Editorin, Kritikerin und Schriftstellerin. Gleichzeitig öffnet ihre Biographie einen Blick in die Institutionalisierungsgeschichte der Musikwissenschaft.
Celeste Coltellini war im späten 18. Jahrhundert eine der gefragtesten und bekanntesten Sängerinnen der Opera buffa in Europa. Selbst aus dem gehobenen bürgerlich-intellektuellen Milieu stammend war sie 13 Jahre als Primadonna an verschiedenen europäischen Theatern engagiert, bevor sie 1792 in die wohlhabende neapolitanisch-schweizerische Familie Meuricoffre einheiratete. Illustre Persönlichkeiten der Zeit standen mit ihr in Kontakt und trafen sich in ihrem Salon. Carola Bebermeier setzt sich theoretisch und praktisch mit den Herausforderungen und Fragestellungen der Frauenbiographik auseinander. Als zentrale Quelle dienen ihr die zehn Skizzenbücher Celeste Coltellinis, die deren gleichwertige zeichnerische Begabung erkennen lassen. Mit einem eigenen biographischen Konzept gelingt es der Autorin, Erkenntnisse der neueren Biographikforschung in einer narrativen Form fruchtbar zu machen.
Mitten im Ersten Weltkrieg publizierte Otto Leßmann den kulturpolitischen Schlachtruf "Mehr Händel!". Transportiert werden in diesem Artikel Konstanten des Händel-Bildes wie die des Erhabenen, Deutschen, Gemeinschaftsstiftenden, Heroischen und Kämpferischen. Der Artikel von 1915 ist der heuristische Ausgangspunkt des hier dokumentierten Symposiums zur bislang kaum untersuchten Händel-Rezeption am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Inwieweit spielt Händel in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg eine Rolle, etwa in den theologischen oder musikhistorischen Debatten in Deutschland? Und wie ist die Tonlage? Weitere Fragen beschäftigen sich mit der Händel-Rezeption in der englischen und französischen Musikkultur dieser Zeit.
Netzwerken gilt als eine traditionelle wie essentielle Sozialform des wissenschaftlichen Arbeitens, das im Feld Musik und Gender noch dazu eine politische Dimension entfaltet. Gerade über den Aufbau und die spätere Ausweitung von Wissensnetzwerken konnte sich die musikwissenschaftliche Genderforschung im weiten Feld der Musik- und Kulturwissenschaften etablieren und ihre Kontur schärfen. Das Unabhängige Forschungskolloquium für Musikwissenschaftliche Geschlechterstudien (UFO) feierte 2022 sein 20-jähriges Bestehen. Der vorliegende Jubiläumsband bietet eine perspektivische und methodische Breite innerhalb musikhistorischer Genderforschung und gibt Einblicke in aktuelle Forschungen: etw...
Mithilfe einer diskursanalytischen Spurensuche dringt die Studie in Tiefenschichten von Liszts Faust-Symphonie vor, die 1857 anlässlich der Einweihung des Weimarer Goethe-Schiller-Denkmals uraufgeführt wurde. Faust, Gretchen, Mephisto und das Ewig-Weibliche sind nicht nur literarisch-musikalische (Denk-)Figuren, sondern es handelt sich zugleich um für das 19. Jahrhundert zentrale Topoi, anhand derer eine Gesellschaft über ihre kulturelle Identität verhandelt. Musikalisch thematisiert werden etwa die Geschlechterverhältnisse, das Deutsche und das Französische in der Kunst, das Teuflische und das Ironische als das Musikalisch-Böse, der Materialismus in Philosophie und Politik oder das Paradigma des Organischen. Zahlreiche bislang unberücksichtigte zeitgenössische Quellen helfen dabei, den diskursiven Kontext der Uraufführung zu rekonstruieren.
Wie blicken verschiedene Wissenschaftsdisziplinen intersektional auf trans, inter und nicht-binäre (TIN) Subjektpositionen jenseits der zweigeschlechtlichen Norm? Wie werden Geschlechtervielfalt und Geschlechterrollen(-bilder) in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen thematisiert? Die Autor*innen erörtern hochaktuelle gesellschaftliche, rechtliche und alltagspraktische Diskurse und Forderungen: Unter anderem werden die Änderung des Personenstandsgesetzes, das geplante Selbstbestimmungsrecht, geschlechtergerechte Sprache und die Idee der „TINklusiven“ Universität behandelt.
Berühmte Paare waren und sind beliebte Gegenstände der (wissenschaftlichen) Biographik, der Fiktion oder auch der Boulevardpresse. Häufig ranken sich die Anekdoten und Geschichten um die gleichen Paare: Vor allem Robert und Clara Schumann oder Alma und Gustav Mahler sind als Musikerehepaare des 19. Jahrhunderts bekannt geworden. Christine Fornoff-Petrowski zeigt in ihrer Untersuchung, dass Ehen im Umfeld der bürgerlichen Kunst- und Musikkultur des 19. Jahrhunderts keinesfalls Einzelfälle, sondern Teil einer vielfach gelebten und dabei kontrovers diskutierten Praxis waren. Mit Hilfe der historischen Diskursanalyse zeichnet die Autorin die öffentliche – vor allem in bürgerlichen Medien geführte – Debatte nach und spiegelt diese am Beispiel einzelner, bisher weniger bekannter Musikerehepaare wie Wilhelm Heinrich und Bertha Riehl oder Hermine und Eugen d'Albert. Die aufgedeckten Denkmuster und Narrative beeinflussten nicht nur das Leben und Handeln dieser Paare, sondern haben sich im Erzählen über Künstlerpaare teilweise bis in die Gegenwart gehalten.
What is music, and why does it move us? From Pythagoras to the present, writers have struggled to isolate the essence of "pure" or "absolute" music in ways that also account for its profound effect. In Absolute Music: The History of an Idea, Mark Evan Bonds traces the history of these efforts across more than two millennia, paying special attention to the relationship between music's essence and its qualities of form, expression, beauty, autonomy, as well as its perceived capacity to disclose philosophical truths. The core of this book focuses on the period between 1850 and 1945. Although the idea of pure music is as old as antiquity, the term "absolute music" is itself relatively recent. It...
Since the early transformation of European music practice and theory in the cultural centers of Asia, Latin America, and Africa around 1900, it has become necessary for music history to be conceived globally - a challenge that musicology has hardly faced yet. This book discusses the effects of cultural globalization on processes of composition and distribution of art music in the 20th and 21st century. Christian Utz provides the foundations of a global music historiography, building on new models such as transnationalism, entangled histories, and reflexive globalization. The relationship between music and broader changes in society forms the central focus and is treated as a pivotal music-historical dynamic.
Alle sprechen über Digitalisierung, aber was meint das allgegenwärtige Schlagwort? Das Anliegen einer kritischen Frauen- und Geschlechterforschung ist es, den Begriff Digitalisierung zu demystifizieren und auf die sozialen Dimensionen von Digitalisierungsprozessen hinzuweisen. Dafür ist der interdisziplinäre Austausch zwischen Technik- und Sozialwissenschaften unerlässlich. Der Sammelband verbindet daher sozial-, erziehungs- und kulturwissenschaftliche Ansätze mit natur- und technikwissenschaftlichen Analysen, um eine kritische Begriffsdiskussion anzuregen.